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Moderne Stadtentwicklung in Berlin-Mitte Botschaften - Rem Koolhaas 

Blick auf die Holländische Botschaft
Blick auf die Holländische Botschaft
Foto: A. Wagner-Junker

Rem Koolhaas / DIE ZEIT
© DIE ZEIT, 25.09.2003, Nr. 40

Architektur

Megalopolis im Miniformat

Für Berlin hat der Architekt Rem Koolhaas die Moderne neu erfunden. Seine holländische Botschaft ist ein Haus, wie es noch keines gab

Von Hanno Rauterberg

Fünf Minuten läuft man vom Alexanderplatz, schon ist Berlin zu Ende. Schwalben durchziehen den weiten Himmel, die Luft ist lau und der Friede so vollkommen, dass man meint, die Stadt habe sich selbst vergessen. Einst war dies das Zentrum, hier an Mühlendammbrücke und Klosterstraße hatte vor vielen hundert Jahren das urbane Puckern und Brausen begonnen, hier wurde Berlin zu Berlin, zu einem Ort der ewigen Umwälzung - und irgendwann, vor ein paar Jahren, zu einer Dämmerstätte. Von einer Tradition der Veränderung wollte niemand mehr etwas wissen. Zum Glück aber gibt es ja die traditionsbewussten Leute wie den Architekten Rem Koolhaas. Mitten im pittoresken Dösen hat er eine Art Stadtkraftwerk entstehen lassen: Es ist die neue Botschaft der Niederlande, zum kleineren Teil. Zum größeren ist es eine Botschaft an Berlin.

Seit langem schon verbindet Koolhaas eine Hass-liebe mit dieser Stadt. 1991 hatte man ihn in eine Jury berufen, die über den Potsdamer Platz entscheiden sollte, und er wollte sich stark machen für eine Architektur, die mehr ist als stumpfer Fassadengehorsam, mehr auch als Skulpturenspektakel. Bald aber stellte sich heraus, dass sein Wagemut nicht erwünscht war. Er fühlte sich als Alibi missbraucht, verließ die Jury und wütete öffentlich gegen das "kleinbürgerliche, altmodische, reaktionäre, unrealistische, banale, provinzielle und vor allem dilettantische Bild der Stadt", das da entstehen sollte.

Ein Lehrkörper für Berlin

Die Mitarbeiter der holländischen Botschaft, die in der kommenden Woche mit dem Einzug beginnen, werden also kein gewöhnliches Haus vorfinden, sondern einen Lehrkörper. Hier sollte, ja musste Koolhaas allen zeigen, welche Chancen Berlin damals vertan hatte. Er entwarf eine Idealstadt auf der Grundfläche von 17 mal 17 Metern, einen gläsernen Würfel, in dem alle Theorien und Erfahrungen des 59Jährigen zusammenfließen. Von außen allerdings ist von dieser Fülle kaum etwas zu sehen, fast unscheinbar steht das Haus am Ufer der Spree. Die meisten anderen Staaten nutzten den Umzug von Bonn nach Berlin, um sich architektonisch aufzudonnern: England macht auf schrillen Pop, Österreich liebt es aufgedunsen und patinasatt, und Mexiko demonstriert Modernität mit einer schrägen Marmorfassade. Alle wollen sie etwas Besonderes sein, Fremdkörper, Häuser aus der Ferne.

Holland hingegen gehört dazu. Ganz selbstverständlich scheint sich die Botschaft ins Berliner Blockraster einzuordnen. Erst auf den zweiten Blick merkt man, dass irgendwas nicht stimmt mit diesem Bau. Man wundert sich über das riesige Schaufenster im ersten Stock, über diese Glasschlange, die das feine Ebenmaß der Fassade durchbricht, und vor allem über die Lücken rund um den Kubus. Da entfaltet sich ein eigentümliches Spiel aus Rahmen und Kern, Schneise und Körper: Genau genommen zerfällt das Eckgebäude in zwei Teile, in den zentralen Würfel und in eine Art Paravent, der an zwei Seiten den Bau gegen die Anrainer abschirmt. So gelingt es Koolhaas, den städtischen Vorschriften zu genügen und zugleich auszuscheren, er respektiert den Blockrand und errichtet doch einen Solitär. Die Botschaft ist ihr eigener Nachbar, sie geht auf Distanz zu sich selbst.

Koolhaas liebt solche Paradoxien. Er will das eine tun und das andere nicht lassen, und so baut er eine exterritoriale Zone und verwandelt sie gleichwohl in öffentlichen Raum. Auch andere Botschaften verstehen sich nicht länger als Geheimkammern der Diplomatie, sondern suchen das breite Publikum, fast als wären sie die Tourismuszentralen ihrer Länder. Doch niemand öffnet sich so weit wie die Holländer. Kein Zaun wehrt den Besucher ab, stattdessen lockt ein asphaltierter Weg, der sich zwischen Würfel und Paravent nach oben windet. Auf ihm kann man das Haus zur Hälfte umwandern, eingefangen in einer Schlucht aus Alu und Glas. Dann weitet sich die Enge, man blickt auf die Spree, fast als sähe man aus einem Grachtenhaus hinab auf die Amstel.

Sonst erinnert nur wenig an die Heimat der Botschaft. Auf den steilen Stiegen des Hauses oder in den extraschmalen Gästezimmern (untergebracht im Paravent) lässt sich Holland zwar körperlich erahnen. Doch hat Koolhaas ganz bewusst auf jede Art von Identitätsgetümel verzichtet. Statt Symbole aufzustellen, repräsentiert er sein Land durch einen radikal ambivalenten Begriff von Moderne. In diesem ist die Vernunft ebenso aufgehoben wie die Unvernunft, Klarheit genauso wie lodernder Irrsinn.

Offenbarung und Geheimnis, dies Wechselspiel der Gegensätze durchzieht den Bau, er gibt sich nach außen streng und beherrscht und verliert im Inneren jede Kontrolle. Geschosse verspringen, Fußböden geraten ins Gleiten, und vor allem die Treppe entwickelt ein furioses Eigenleben. Sie ist kein Haus im Haus, sondern durchzieht als wild mäanderndes Band die acht Etagen, fast 200 Meter lang und rundum mit Aluminiumplatten verkleidet. Dieser technoide Wurm ringelt sich im Kern des Gebäudes, treibt im nächsten Moment vor bis zur Fassade, durchstößt sie und setzt sich als erkerartiger Flur fort, um dann wieder ins Zentrum des Hauses zurückzufinden. Wer diesem Weg folgt, erlebt einen rasanten Wechsel der Perspektiven: Mal schaut man quer hinaus auf die Spree, dann steil hinunter, vielleicht in jenes Zimmer, in dem man eben noch war. Durch Fotos lässt sich der räumliche Springfluss nicht erfassen, man muss in ihn eintauchen. Und bald schon fühlt man sich in jene "Mitte der Welt" versetzt, die Harry Mulisch in seinem Roman "Die Entdeckung des Himmels" als ein Haus beschreibt, "das zwar eine Innenseite hat, aber keine Außenseite".

Jeder Raum bei Koolhaas schaut auf einen anderen Raum, nichts darf unverbunden bleiben, in einem der Zimmer hat er sogar ein großes Loch in die Decke bohren lassen, so als müsste alles durchstochen und durchdrungen werden, um die Kräfte dieses Gebäudes ins Fließen zu bringen. Nur bei der Dechiffrier-Kammer waren die Holländer unnachgiebig, mit Ausnahme der mächtigen Holztür durfte es keine Öffnung geben, auch wenn natürlich die Zeit verschlüsselter Botschaften in Westeuropa längst vorbei ist. Koolhaas wollte dennoch eine Durchdringung andeuten und ließ deshalb die Wandverkleidung auf der Treppenseite zackenförmig aufreißen - ein pathetischer Akt, den man eher seinem Kollegen Libeskind zugetraut hätte.

Ähnlich wie dessen Bauten körperliche und geistige Bewegung stiften, so versteht sich auch die holländische Botschaft als Muntermacher, sie schlägt Brücken und dreht Hierarchien auf den Kopf. So liegt das Büro des Botschafters nicht etwa ganz oben, sondern im Kern des Gebäudes, und in den Dachgeschossen finden sich (neben der Botschafterwohnung) ein Fitnessraum, die Poststelle und die Kantine. Hier endet die windungsreiche Binnenstraße oder endet doch nicht. Im Sommer nämlich kann man das Blechdach zur Seite fahren, dann stehen die Esstische unter freiem Himmel, und wer will, kann noch eine Etage höher wandern, aufs Dach, wo eine Bar wartet und plötzlich das Berliner Chaos ganz ungemein erhaben wirkt. Die quirlige Enge dieses Baus endet in großartiger Offenheit, Architektur- und Stadterlebnis verschmelzen. Hier oben spürt man etwas von der Sehnsucht, die Koolhaas umtreibt, von seinem Traum, "das Ganze wiederherzustellen, das Kollektive neu zu erfinden".

Ohne Zweifel, man kann ihn einen Nostalgiker nennen. Etwas von der barocken Pracht der alten Adelspalais, in denen die Diplomatie einst begann, etwas von den Imponiergesten und Überwältigungsstrategien lebt hier wieder auf, nur dass es nicht das Barock der vergoldeten Festons ist, sondern das düster-schwirrende Barock eines Piranesi. Und noch eine Tradition greift Koolhaas auf: Die Dichte und Komplexität seines Baus erinnern an die expressionistischen Stadtfantasien der zwanziger Jahre, an die Schwärmerei für das Unvorhersehbare, für Hektik und schrille Kontraste. Schon mit seinem Buch "Delirious New York" schrieb Koolhaas diese Visionen fort, ihn faszinierten die Hochhäuser, er begriff sie als Städte in der Stadt, so gewaltig groß, dass sie ein eigenes Binnenleben entwickeln, losgelöst vom orthogonalen Raster der Straßen.

Mit seinem Berliner Gebäude huldigt er dieser Megalopolis im Miniformat, er will das Unerwartete provozieren - und hat damit Erfolg, lange schon vor der offiziellen Eröffnung im Frühjahr. Mehr als 10000 Menschen haben sich bereits angemeldet, weil sie den Bau besichtigen wollen, sie drängen auf eine Veröffentlichung des Nichtöffentlichen.

So oder so ähnlich hatte es sich Koolhaas gewünscht. Anders als bei den Vorbildern in Manhattan hat er sein Gebäude nicht abgedichtet gegen das Leben draußen, im Gegenteil, er inszeniert Berlin, er nutzt die Gegensätze dieser Stadt, um seine Architektur unter Spannung zu setzen. Besonders eindrucksvoll ist die Diagonale, die sich schräg durch den Gebäudewürfel zieht und auf wunderbare Weise die Glitzerkugel des Fernsehturms am Alex ins Haus holt. Gleich mehrere Wände durchstößt diese Blickachse, selbst in den Paravent wurde ein großes Guckloch geschnitten, und wenn auf dem Nachbargrundstück einst gebaut werden sollte, muss auch dort der Blick frei bleiben, so steht's im Grundbuch. Sogar vom Spreeufer aus ahnt man diese großartige Schneise, mit der Berlins oftmals verachteter Osten zum Fixpunkt der Holländer wird.

Architektur als politischer Appell

Man darf dies durchaus politisch verstehen. Koolhaas hat immer schon dafür plädiert, dem Bestehenden Amnestie zu gewähren. Weder trauert er dem Verschwundenen nach, noch möchte er die Brüchigkeit verklären. Vielmehr kann man seine Botschaft als Ermutigung begreifen, die ungeheuren Widersprüche dieser Stadt nicht länger als Manko, sondern als Stärke und Chance zu begreifen.

Den alten Streit über Traufhöhen und Steintapeten, über bloße Formfragen der Moderne, könnte Berlin dann getrost vergessen. Es ginge nicht mehr um Fassaden, sondern um ein Denken in Räumen und Bewegungen. Es wäre eine Wiederentdeckung der Stadt mit all ihren Höhen und Abgründen, auch mit jenen, die sich dem Besucher direkt vor der holländischen Botschaft auftun. Eben noch hörte er nur das träge Glucksen der Wellen, da vernimmt er plötzlich ein Rattern. Er schaut sich um, entdeckt mitten im Kopfsteinpflaster einen Metallrost, blickt hinein wie in ein surrealistisches Bild - und sieht in matt beleuchteter Tiefe ein paar Gleise blitzen. Mit einem Mal ist die laue Luft nicht mehr lau, der Friede nicht mehr vollkommen. Berlin ist wieder Berlin.

Vom 15. November an zeigt die Neue Nationalgalerie in Berlin eine Koolhaas-Retrospektive. Dazu erscheinen im Verlag NAi Publishers ein Katalogbuch und eine Monografie über den Botschaftsbau.


Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung - Planen, Bauen, Wohnen, Umwelt, Verkehr -, VI F, veröffentlichte "Wesentliche Aspekte des Gesetzentwurfes: Zum Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung der Bauordnung für Berlin, zur Änderung von Zuständigkeiten, zur Änderung des Berliner Straßengesetzes und zur Änderung des Denkmalschutzgesetzes Berlin" (Stand Bearbeitung: 15.07.2004), das hier für den Download zur Verfügung gestellt wird:

gesetz_bauordnung_berlin.pdf (1.900 KB).

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