DIE ZEIT


30/2005

Auf Mut gebaut

Ist das die Wende im Streit um den Palast der Republik? Zwei neue wunderbare Vorschläge könnten den geplanten Abriss verhindern

Von Nikolaus Bernau

Im Dezember sollen die Abrissbagger kommen, und dann ist es vorbei: vorbei mit der jahrelangen Debatte um den Palast der Republik, vorbei mit dem Traum von einem Zentrum für experimentelle Kultur, vorbei mit großen Kunstberg-Fantasien. Vorbei aber auch mit der Hoffnung, schnell die barocken Fassaden des 1950 gesprengten Schlosses neu zu bauen und dahinter das Humboldt-Forum einzurichten, ein Haus für die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen, für die Sammlungen der Humboldt-Universität und für die Berliner Landesbibliothek. Sobald der Palast abgerissen ist, wird dort nur noch grüne Wiese sein. Gras wird wachsen über alle Pläne.

Es sei denn, es gäbe eine Wende in letzter Minute. Überraschenderweise stehen die Chancen dafür seit vorigem Wochenende nicht schlecht. Am Rande eines Symposiums zur Zukunft des Schlossplatzes wurden einige verblüffende und vor allem pragmatische Vorschläge gemacht, die ein neues Nachdenken geradezu erzwingen. Fragwürdiger denn je erscheint es nun, den Palast einfach abzureißen, bevor der Staat die nötigen 590 Millionen Euro für den Neubau aufbringen kann. Bislang hat noch nicht einmal Wilhelm von Boddien, der Geld für eine Rekonstruktion der Barockfassaden sammelt, mehr als eine halbe Million Euro auf dem Konto des Fördervereins Schloss und nur »Zusagen« über weitere acht Millionen – das Zehnfache braucht er wenigstens.

Umso sinnvoller erscheint die Idee des Denkmalexperten Karl Ganser. Er schlägt vor, die für den Abriss eingeplanten 20 Millionen Euro gewinnbringend anzulegen und aus den Zinsen den Palastrohbau vorläufig zu sanieren. So könnte man ihn weiter nutzen für kulturelle Aktivitäten jeder Art und doch jederzeit abreißen, sobald das Geld für das Humboldt-Forum reicht. Auch wäre auf diese Weise die Chance nicht vertan, die Ruine möglicherweise in einen Neubau zu integrieren – und damit sehr viel Geld zu sparen.

Bislang hat noch niemand systematisch untersucht, ob sich die Stahlkonstruktion des Palasts für das Humboldt-Forum weiter nutzen ließe und was sie eigentlich wert ist. Keine der vielen beteiligten Staatsverwaltungen kann die Zahl nennen, die jeder Kaufmann vor dem Abriss seines Geschäftshauses als Erstes ermittelt. Ein Anruf bei Thyssen-Krupp genügt, um herauszubekommen, dass allein der Neubeschaffungswert der 22000 Tonnen verbauten Stahls bei etwa 11 Millionen Euro liegt. Da die Stahlkonstruktion bei Bauten dieser Art nach Angaben des Stahl-Informationsdienstes in Düsseldorf etwa 10 Prozent des Neubauwerts umfasst, kann der Gesamtwert des Palastgerüsts vorsichtig auf 110 Millionen Euro geschätzt werden. Diese 110 Millionen Euro sind investiertes Kapital, das abgerissen werden soll – und zwar für eben die 20 Millionen Euro, die Ganser gewinnbringend anlegen würde.

Ganze 130 Millionen Euro ließen sich sparen, wenn die Vernunft regierte

Mit ein wenig Vernunft ließen sich also gewaltige Summen einsparen – zumal dann, wenn auch der zweite Vorschlag vom vorigen Wochenende beherzigt würde. Er stammt von dem Berliner Architekten Claus Anderhalten, der sich ungefragt die Mühe gemacht hat, einen detaillierten Plan auszuarbeiten: für einen Umbau des Palast-Stahlgerüsts in ein öffentliches Depot. Dicht an dicht gehängt, könnten hier in teilklimatisierter Umgebung die Schätze der Staatlichen Museen aufbewahrt und gezeigt werden. Auch kleinere Ausstellungsflächen und ein Veranstaltungssaal wären für nur 60 Millionen Euro zu finanzieren, ein Angebot, das vor allem für die Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz attraktiv sein müsste. Sie brauchen eine schnelle Gründung des Humboldt-Forums für ihre weltweit einzigartigen Sammlungen außereuropäischer Kulturen, die bislang im Vorort Dahlem versteckt werden.

Am allerbesten geholfen wäre ihnen mit einem raschen Weiterbau des Palasts, so wie er bereits 1991 von Goerd Peschken und Frank Augustin angeregt worden war. Sie wollen aus dem DDR-Baukörper den barocken Schlüter-Hof des Schlosses regelrecht herausschneiden und die rekonstruierten Fassaden wie eine Kulisse an das Stahlgerüst heften. So könnte man den politischen Wunsch nach neubarocken Fassaden erfüllen, ohne sofort große Bauten als Stütze für die Fassaden errichten zu müssen. Und die rund um den Schlüter-Hof verbliebenen Flächen des ehemaligen Palasts wären mehr als ausreichend, um das Humboldt-Forum unterzubringen: Sie böten immer noch auf fünf Haupt- und zwei Tiefgeschossen fast 68000 Quadratmeter Ausstellungs- und Depotfläche. Das ist mehr, als der historische Schlossbau mit seinen etwa 58000 Quadratmetern jemals bot, mehr als bisher für die Museen je gefordert wurde. Vielleicht fände man sogar Platz für die sträflich vernachlässigte Landesbibliothek.

Auch ökonomisch wäre ein solcher Weiterbau statt völligen Neubaus interessant. Dies zeigt der Vergleich mit dem von Helge Sypereck seit 1998 geplanten Ausbau der Dahlemer Museen. Sie waren nach einer Asbestsanierung ähnlich auf den Rohbau reduziert worden wie jetzt der Palast der Republik. 6,75 Millionen Euro wurden damals für 2800 Quadratmeter Ausstellungsfläche ausgegeben. Der entsprechende Ausbau des Palasts würde also (inflationsbereinigt) etwa 181 Millionen Euro kosten. Berlin hätte dann noch nicht die große Kubatur des Schlosses, und von Boddien müsste immer noch seine Millionen für die Barockfassaden zusammensammeln – aber es wäre ein erster Schritt, und kein Gras könnte über all die Träume wachsen.

Wo also bleibt die Wende? Sicherlich, so etwas braucht Mut: den Mut der Bundestagsabgeordneten und Bundeskulturpolitiker, nicht länger auf bessere Zeiten zu hoffen, sondern sich einzugestehen, dass der Schlossfassadenwunsch ehrenwert ist, dass aber in absehbarer Zeit kein Geld für den Bau des Humboldt-Forums hinter der Fassade vorhanden sein wird. Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz braucht Mut, Mut zu einer halben Lösung. Sie sollte dem Bundestag das Angebot machen: Wir übernehmen den Rohbau des Palasts, fangen darin mit der Rekonstruktion des Schlüter-Hofes an und ziehen schnell mit den Museen um, raus aus Dahlem. Mutig müssen auch Wilhelm von Boddien und seine Kampfgenossen sein, die Schlossrekonstruktion als Projekt nicht nur ihrer, sondern vieler Generationen zu sehen und deswegen nicht mit den großen Fassaden, sondern mit dem überschaubaren Schlüter-Hof zu beginnen. Und nicht zuletzt ist der Mut des Berliner Senats gefragt, das Thema Palast nicht per Abriss vor den nächsten Wahlen vom Tisch zu bringen.

Aber kann das heutige Deutschland noch so rational handeln wie einst die preußischen Könige? Die haben niemals einen Bauteil abgerissen, den man noch verwenden kann, und sei er noch so hässlich gewesen. Wenn die Könige so gehandelt hätten wie heute die Schlossfreunde – es hätte nie ein Schloss gegeben.